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A-2.1.4.2 Luftangriffe

1 Abgrenzung zu anderen Verursachungsszenarien

Unter dem Verursachungsszenarium „Luftangriffe“ werden zusammengefasst:

  • Bombardierungen mit allen Arten von Abwurfmunition (z. B. Spreng-, Brand- und Splitterbomben)
    • aus taktischen Angriffen,
    • aus strategischen Angriffen,
  • Bombardierungen und Bordwaffenbeschuss durch Jagdbomber-Angriffe,
  • Bordwaffenbeschuss durch Jäger-Angriffe,

die durch alliierte (amerikanische, britische und russische Einheiten und deren Verbündete) Einheiten erfolgten.

Hierzu zählen nicht Kampfmittelbelastungen, die infolge dieser Angriffe unmittelbar (z. B. versprengte Munition aus detonierten Munitionsstapeln) oder mittelbar (z. B. später in offene Trichter entsorgte Infanteriemunition) eingetreten sind.

 

2 Einleitung

Bereits im Dezember 1939 wurde das Deutsche Reich erstmalig durch britische Einheiten bombardiert (am 3.12.1939 auf Helgoland). Die Luftangriffe erfolgten in den ersten Kriegsjahren zumeist in kleinen Verbänden mit wenigen und kleineren Flugzeugen. Die technische Entwicklung und die enorme Ausweitung der Flugzeugproduktion versetzten die englischen und amerikanischen Luftstreitkräfte in die Lage, strategische Großangriffe durchzuführen. Sie wurden zumeist als Flächenbombardements auf urbane Gebiete und kriegswichtige Objekte ausgeführt. Dies betraf Groß- wie Kleinstädte mit umfangreicher Rüstungsindustrie (z. B. Nürnberg ebenso wie Friedrichshafen), andere kriegswichtige Ziele (z. B. Industrieanlagen, Bahnhöfe) und militärische Standorte (z. B. Fliegerhorste). Zudem wurden auch weitere, im An- oder Rückflugsektor befindliche Gebiete als Ausweichziele angegriffen und durch Fehl- oder Notabwürfe betroffen.

Die taktischen Angriffe wurden ebenfalls im gesamten Gebiet Deutschlands durchgeführt. Sie betrafen häufig kleinere Objekte wie Munitionslager, Stellungen oder militärische Kolonnen sowie weitere für die Kriegführung wichtige Standorte und Infrastruktur (z. B. Bahnstrecken). Taktische Angriffe, Jagdbomber- und Jägerangriffe setzten verstärkt erst ab Ende 1944 im Zuge des Vormarschs der alliierten Truppen auf das Territorium Deutschlands ein. Sie wurden von allen am Krieg beteiligten Staaten (USA, England, Russland usw.) durchgeführt.

 

3 Quellenlage

Relevante Quellengattungen für die Bearbeitung von Luftangriffen sind:

  • schriftliche und kartografische Archivalien,
  • Luftbilder.

Für die alliierten Luftangriffe existieren umfangreiche archivalische Überlieferungen in verschiedenen ausländischen Archiven. Die wesentlichen sind:

  • National Archives and Records Administration, Washington D.C.,
  • Air Force Historical Research Agency, Maxwell, Alabama,
  • The National Archives, London.

Dort sind Primärquellen überliefert, die insbesondere Dokumente

  • zum historischen Hintergrund des Luftkriegs und der Luftangriffe,
  • zur grundsätzlichen Angriffsplanung und -durchführung,
  • zum Einsatzbereich und der Wirkungsweise von Munition,
  • mit Angriffsbefehlen, Berichten zur Durchführung, dem Verlauf und den Ergebnissen der Angriffe, statistischen Zusammenfassungen u. a. m. (sog. Missionsberichte oder „mission folder“),
  • mit Luftbildern, die vor, während („strike foto“) und nach Angriffen aufgenommen wurden,

enthalten.

Hinzu kommen umfangreiche Sammlungen detaillierter Beschreibungen von Einzelzielen und urbanen Räumen und den dort verursachten Zerstörungen.

Für die strategischen und taktischen Bombardierungen ist der Überlieferungsgrad sehr gut. Allerdings treten immer wieder Lücken in den Beständen auf. Sie können aber in der Regel durch parallel- oder ergänzende Überlieferungen in anderen Beständen oder Archiven oder durch den Abgleich mit über- oder untergeordneten Einheiten geschlossen werden.

Die Dokumentation von Jagdbomber- und Jägerangriffen ist in der Regel weniger gut. Vor allem der geringere Detaillierungsgrad der Dokumente und der generelle Charakter der Angaben, insbesondere was einzelne Ziele betrifft, erschweren die hinreichende Rekonstruktion. Um diese Informationslücken schließen zu können, ist auf entsprechende Überlieferungen in deutschen Archiven zurückzugreifen.

In Bundes-, Landes- und kommunalen Archiven sind Archivalien vorhanden, die die Auswirkungen des Luftkriegs aus deutscher Sicht dokumentieren. Hervorzuheben sind insbesondere die Meldungen der verschiedenen Luftschutzorganisationen sowie Schadenskarten und Verlustmeldungen.

Der Umfang der in den alliierten Archiven vorhandenen Dokumente wird auf mehr als 10 Millionen Seiten einschließlich Karten sowie mehrere 100.000 Strike Fotos geschätzt. Von diesen Beständen liegen beim NLBL knapp 10 % reproduziert vor.

Für die deutschen Akten existiert keine systematische, auf das Thema bezogene Erfassung aller verfügbaren Bestände. Deshalb kann der Umfang nicht abgeschätzt werden.

Die strategischen und taktischen Bombardierungen können in der Regel gut, die Jagdbomber- und Jägerangriffe nur in Ausnahmefällen mit Luftbildern belegt werden. Wesentliche Angaben zu den relevanten Beständen und den notwendigen Recherchen und Beschaffungen finden sich im Anhang A-2.1.3.3.

 

4 Besondere Anforderungen an die Recherche

Mit den verfügbaren Archivalien lassen sich in fast allen Fällen die Auswirkungen der Angriffe sehr genau rekonstruieren. Um ein vollständiges Bild der Angriffe auf einen Standort zu erhalten, ist zunächst die Angriffschronik lückenlos zu erarbeiten. Ein Beispiel für eine Angriffschronik gibt die folgende Abbildung (Abb. A-2.1-2).

Abb. A-2.1-2: Beispiel für eine Angriffschronik: Stadt Friedrichshafen (gekürzte Darstellung)


In die Angriffschronik können – wie im Beispiel der Abb. A-2.1-2 geschehen – die verfügbaren Luftbilder integriert werden, um zeitliche Abdeckungslücken erkennen zu können.

Als nächster Arbeitsschritt erfolgt die Angriffsdetailauswertung, mit der folgende wesentliche Angaben rekonstruiert werden:

  • Eingesetzte Einheiten (von der Führungsebene bis zu den einzelnen Gruppen aufgeführt),
  • Anzahl der angreifenden Flugzeuge,
  • Beladung mit Abwurfmunition, Typen der Abwurfmunition und Bezünderung bzw. Zündereinstellungen,
  • Angaben zum Flugverlauf, wie Angriffsrichtung, Wetterverhältnisse, Flughöhe, deutsche Abwehr,
  • Angaben zu den während eines Angriffs beobachteten Auswirkungen.

Ein Musterauswerteblatt wird in Abb. A-2.1.3 dargestellt.

 

Abb. A-2.1-3: Beispiel für eine Angriffsdetailauswertung: Stadt Friedrichshafen, Angriff vom 20.07.1944 (gekürzte Darstellung)


Diese Angaben sind aus den primären Dokumenten der englischen und amerikanischen Archive zu extrahieren. Sie sind in der Informationstiefe zu beschaffen, die eine eindeutige und widerspruchsfreie Angriffsrekonstruktion gewährleistet. Die Auswertung mit Hilfe von Sekundärliteratur (häufig regionalbezogene Abhandlungen) ist aus qualitativen Gründen i. d. R. nicht möglich.

Mit Hilfe der aus den deutschen Archiven zu beschaffenden Archivalien lassen sich Trefferbereiche, grundsätzliche Auswirkungen und Zerstörungen detailliert, teilweise bis auf Straßen- und Hausnummerngenauigkeit rekonstruieren. Insofern sollten diese Unterlagen, insbesondere die der Luftschutzorganisationen, Schadenskarten und Verlustmeldungen (Totenlisten) vollständig beschafft werden.

Die Luftbilder sind vollständig zu beschaffen, zu sichten und die für die Auswertung relevanten (Angriffschronik) und geeigneten (Qualität, Maßstab etc.) Bilder sind zu bestimmen. Wegen der verschiedenen fotografischen Reproduktionsprozesse kann es geboten sein, bessere Reproduktionen als unmittelbare Kopie von den Originalen zusätzlich zu beschaffen. Der finanzielle Mehraufwand wird zumeist durch eine schnellere Auswertung kompensiert. Die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Auswertung steigt in jedem Fall an, wie das Beispiel in Abb. A-2.1-4 zeigt.

Hier kann unmittelbar der Qualitätsunterschied zwischen einem Luftbild, welches direkt vom Original in den USA reproduziert wurde (rechts) und einem Bild, welches vom Landesvermessungsamt zur Verfügung gestellt wurde (links), erkannt werden (1 = Bombenblindgängerverdachtspunkte, 2 = Dachträger der Flugzeughalle).

 

Abb. A-2.1-4: Qualitätsunterschiede bei Luftbildreproduktionen (rechts: Reproduktion vom Originalnegativ aus den USA; links: mehrfach umkopiertes Bild, welches in Deutschland verfügbar ist)

 

5 Besondere Anforderungen an die Auswertung

Für die verlässliche Rekonstruktion der Luftangriffe auf einen Standort sind an den Bearbeiter besondere Anforderungen zu stellen. Hierzu gehören insbesondere

  • detailliertes Wissen über Organisation der alliierten Luftstreitkräfte und der deutschen militärischen und zivilen Bodenorganisation,
  • detailliertes Wissen über die grundsätzlichen Vorgänge, Planungen und Durchführungen von Luftangriffen,
  • detailliertes Wissen über Codierungen, Abkürzungen und Sprachgebrauch,
  • sehr gute Englischkenntnisse

und damit langjährige Erfahrung bei der Nachbildung von Luftangriffen.

Bei der Rekonstruktion der Luftangriffe ist insbesondere zu prüfen, ob die Angriffe vollständig erfasst wurden. Werden Angriffe „übersehen“, kann dies gravierende Auswirkungen auf die Gefahrenbeurteilung haben (z. B. durch fehlerhafte Interpretation von Luftbildern (z. B. wenn Treffergebiete aus Splitterbomben nicht erkannt wurden) oder durch unvollständige Angriffslisten). Gleiches gilt, wenn Angriffe fehlerhaft recherchiert oder interpretiert werden (z. B. durch die fehlerhafte Auswertung von Akten zu Angriffen (z. B. wurde nicht erkannt, dass Bomben mit Langzeitzündern abgeworfen wurden)). Deshalb ist auf die Detailauswertung der Angriffsunterlagen große Sorgfalt zu legen. Hierzu gehört auch, Quellenlücken und Informationsmängel zu erkennen und ausführlich darzustellen.

Bei der Angriffsrekonstruktion sind einige Aspekte zu berücksichtigen, deren Auswirkungen auf den Einzelfall sich im Vorfeld nicht oder nur ausnahmsweise erkennen oder abschätzen lassen. Zu nennen sind u. a.:

  • Es existiert kein lückenloses Verzeichnis der alliierten Luftangriffe weder für ganz Deutschland noch für einzelne Gebiete. Die in der Sekundärliteratur veröffentlichten Listen sind nachweislich unvollständig und fehlerhaft.
  • Die Quellen der unterschiedlichen hierarchischen Ebenen der Luftstreitkräfte weisen teilweise widersprüchliche Informationen auf, so dass mehr oder weniger aufwendige Prüfungen notwendig werden können.
  • Die wesentlichen Angriffsinformationen liegen häufig nur kodiert vor, entsprechende Schlüssel sind nicht überliefert.
  • Der Umfang der für einen Angriff zu bearbeitenden Seiten kann sich auf einige Tausend belaufen. Ohne detaillierte Kenntnisse der Strukturen, Inhalte und Kodierungen ist eine wirtschaftliche und auch inhaltlich korrekte Rekonstruktion nicht oder nur mit erheblichem Aufwand möglich.

In jedem Fall sind Archivalien und Luftbilder kombiniert auszuwerten. Es wird empfohlen, diese Informationen mit Angaben aus Berichten zu durchgeführten Kampfmittelräumungen zu überprüfen.

 

6 Ausprägung der Kampfmittelbelastung

Die Kampfmittelbelastung aus Bombenabwürfen hängt von verschiedenen Faktoren ab:

  • Witterungsbedingungen, Sichtverhältnisse,
  • Qualität der Angriffsformation, Angriffshöhe, Angriffsart usw.,
  • Erfahrung des Bombenschützen,
  • Intensität der deutschen Gegenwehr durch Flugzeuge und Flak.

Die abgeworfenen Bomben finden sich in einem flächig begrenzten Gebiet um den gewählten Zielpunkt. Waren zu Kriegsbeginn die Treffergebiete ausgedehnter und trafen häufiger Fehlwürfe außerhalb der eigentlichen Zielgebiete ein, nahm die Zielgenauigkeit der Angriffe im Kriegsverlauf kontinuierlich zu. Dies gilt für strategische und taktische Bombenangriffe. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass taktische Angriffe wegen der geringeren Flughöhe generell kleinere Flächen bei gleichzeitig höherer Treffergenauigkeit aufweisen. Die strategischen Tagangriffe der amerikanischen Streitkräfte weisen gegenüber den britischen Nachtangriffen ebenfalls größere Genauigkeiten auf.

Die beiden folgenden Luftbilder (Abb. A-2.1-5, Abb. A-2.1-6) verdeutlichen die gute Treffergenauigkeit bei einem Angriff auf die Kaserne in Weingarten. Das erste Bild (Abb. A-2.1-5) wurde während, das zweite nach dem Angriff aufgenommen. Das dritte Luftbild (Abb. A-2.1-7) wurde aus einem Aufklärer nach Kriegsende aufgenommen. Es zeigt die Zerstörungen an der südöstlichen Liegenschaftsecke.


Abb. A-2.1-5: Treffergenauigkeit von Luftangriffen zum Kriegsende, Kaserne bei Weingarten, Luftbild während des Angriffs aufgenommen (detonierende Bomben erzeugen Rauchsäulen)

 


Abb. A-2.1-6: Treffergenauigkeit von Luftangriffen zum Kriegsende, Kaserne bei Weingarten, Luftbild nach dem Angriff aufgenommen, zeigt die Bombentrichter und den Trefferbereich

 


Abb. A-2.1-7: Treffergenauigkeit von Luftangriffen zum Kriegsende, Kaserne bei Weingarten, Schrägluftbild nach dem Angriff aufgenommen zeigt die Zerstörungen (das Gebäude in der Bildmitte entspricht dem ersten Gebäude in der unteren rechten Grundstücksecke im vorangehenden Luftbild (Abb. A-2.1-6))


Die kombinierte Archivalien- und Luftbildauswertung gewährleistet durch die gute Luftbildsichtigkeit der Bombardierungsmerkmale (Trichter, Zerstörungen) eine hinreichend sichere Abgrenzung von Belastungsgebieten, die durch Angriffe mit Sprengbomben entstanden sind.

Treffergebiete von Splitterbomben- und Stabbrandbombenabwürfen sind häufig großräumiger ausgebildet. Dies hängt mit der geringen Größe dieser Bomben und der daraus folgenden veränderten Abwurftechnik zusammen. Teilweise lassen sich derartige Treffergebiete nicht oder nur mit sehr viel Erfahrung luftbildsichtig erkennen. Sie können aber durch die Auswertung der Archivalien der alliierten Luftstreitkräfte rekonstruiert werden.

Das folgende Beispiel (Abb. A-2.1-8) zeigt den Fliegerhorst Brandenburg-Briest, auf dessen Westteil mehr als 6.300 20 lb-Splitterbomben niedergingen. In den sehr guten Luftbildern ist dieses Abwurfgebiet nicht bzw. nur andeutungsweise zu erkennen. Die Archivalien hingegen geben konkrete Aussagen zum Treffergebiet.

 

Abb. A-2.1-8: Beispiel für ein stark bombardiertes Gebiet, das im Luftbild nicht oder nur bedingt zu erkennen ist.


Flächen mit Bordwaffenbeschuss können mit den verfügbaren Archivalien und Luftbildern nur selten exakt örtlich bestimmt werden.

 

7 Eingesetzte und heute zu erwartende Kampfmittel

Die Abwurfmunition bestand aus Bomben unterschiedlicher Typen und Gewichtsklassen. Sie enthielten zumeist eine Sprengstoff- oder Brandmittelfüllung. Es lassen sich unterscheiden:

  • Sprengbomben mit unterschiedlichen Sprengstoffen,
  • panzer- und befestigungsbrechende Bomben,
  • Splitterbomben,
  • Brandbomben,
  • chemische Kampfstoffbomben.

Bis auf letzteren Typ wurde die genannte Abwurfmunition über dem Deutschen Reich eingesetzt.

Die Größen und damit verbunden die Anteile an Explosivstoffen oder Brandmitteln reicht dabei von 4 lb (ca. 2 kg) bei einer Stabbrandbombe bis zu 12.000 lb (ca. 6 Tonnen) bei britischen Luftminen mit mehr als 4 Tonnen Sprengstoffinhalt.

Neben den häufig eingesetzten Sprengbomben wurden auch für spezielle Einsätze angepasste Bomben abgeworfen. Die taktischen Flugzeuge verschossen neben der Bordwaffenmunition auch Raketen und warfen fallweise Spreng-, Splitter- und Brandbomben ab.

Quantitative Angaben zur Menge der eingesetzten Abwurfmunition liegen nicht vor. Statistische Berechnungen kommen auf eine Gesamttonnage der über dem Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches abgeworfenen Munition von ca. 1,35 Mio. Tonnen (USSBS: Overall Report) bzw. von bis zu 2 Mio. Tonnen (z. B. Webster und Frankland (1975) und Davis, R.G. (1993): Spaatz). Hieraus ergeben sich zwischen 3,5 und 4 Mio. Stück Sprengbomben für das Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches.

Über die Rate der Fehlfunktionen bei abgeworfenen Sprengbomben liegen in Deutschland lediglich Erfahrungswerte vor. Danach wird im Allgemeinen von einer Blindgängerrate von 10 % der Abwurfmenge ausgegangen. Verschiedene Untersuchungen, die britische und amerikanische Einrichtungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg unternahmen, bestätigen diese Größenordnung. Für einzelne Bombentypen wurden allerdings höhere Blindgängerraten festgestellt.

Statistische Angaben über die eingesetzte Anzahl von Bordwaffenmunition sind nicht bekannt.

 

8 Abschätzung des allgemeinen Gefährdungspotenzials

In allen Bombardierungsgebieten besteht, soweit zwischenzeitlich keine abschließende flächendeckende Kampfmittelräumung durchgeführt wurde, der Verdacht auf blindgegangene Abwurfmunition. Mit der punktuellen Räumung luftbildsichtig erkannter Bombenblindgängerverdachtspunkte wird keine flächenhafte Kampfmittelfreiheit erreicht. Dies gilt insbesondere für bebaute Gebiete und Gebiete, die mit 100 lb-Sprengbomben belegt wurden, deren Bombenblindgängerverdachtspunkte in vielen Fällen luftbildsichtig nicht erkannt werden können. Bei älteren Kampfmittelräumungen ist zu berücksichtigen, dass ortungstechnische Einschränkungen kombiniert mit einer fehlenden Angriffsrekonstruktion dazu geführt haben können, dass Bombenblindgänger „übersehen“ wurden.

Grundsätzlich ist in Deutschland mit allen während des Krieges eingesetzten Bomben zu rechnen. Insbesondere in den östlichen Gebieten besteht auch die Möglichkeit des Auffindens von deutschen Bomben, die die sowjetischen Luftstreitkräfte erbeutet und gegen deutsche Städte und Stellungen eingesetzt haben. Durch die Angriffsrekonstruktion kann einzelfallbezogen das zu erwartende Kampfmittelinventar bestimmt werden.

Bestimmte Abwurfmunition wurde mit Zündern versehen, die bei Zufuhr geringster Mengen von Energie (z. B. Erschütterungen) detonieren können (sog. Langzeitzünder). Die Zufuhr mechanischer Energie ist bei Tiefbaumaßnahmen durch den unmittelbaren Kontakt z. B. von Baugeräten mit der Bombe möglich. Bei der Detonation derartiger Bomben ist die große Explosivstoffmenge geeignet, größere Zerstörungen anzurichten.

 

9 Relevanz der Kampfmittelbelastung aus heutiger Sicht

Kampfmittelbelastungen aus Abwurfmunition und untergeordnet auch Bordwaffenmunition sind hinsichtlich des Gefährdungspotenzials als hoch einzuschätzen. Die großflächigen Trefferbereiche liegen fast immer in bebauten und intensiv genutzten Gebieten. Selbstdetonationsfähige Zünder oder die Möglichkeit der Detonation bei mechanischer Energiezufuhr (z. B. Tiefbauarbeiten) sind zu berücksichtigen. Die großen Explosivstoffmengen sind im Fall einer Detonation geeignet, auch großflächige Zerstörungen anzurichten. Diese Gründe belegen, dass eine fachlich fundierte und lückenlose Bestimmung der Kampfmittelbelastung durch die Rekonstruktion aller Angriffe mit Hilfe von Archivalien- und Luftbildauswertungen notwendig ist.


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